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Dinge, die wir nie sagten

 

Teil I

 

Wenn ich dir sagen würde, was ich denke, wären wir wohl keine Freunde mehr.

 

Seit einer halben Stunde schon rührst du mir gegenüber in deinem Kaffee und redest von dir. Oder besser gesagt davon, wie wichtig du bist. Schon dein morgendliches Aufstehen scheint essentiell für die Welt zu sein und vor allem ungleich härter für dich als für andere Mitglieder der arbeitenden Gesellschaft. Du hast schließlich einen Job, der anders ist.

 

Deiner Beschreibung nach zu urteilen, schlüpfst du jeden Tag in dein Supermankostüm und kämpfst gegen Widrigkeiten wie die Dummheit deiner Mitmenschen an, um die Welt zu erhalten. Dabei musst du so schnell fliegen, dass dir keine Zeit für Pausen oder Essen bleibt. Und von da oben kannst du gar nicht anders, als auf uns am Boden hinabzuschauen. Du verstehst so vieles von den Sorgen nicht, die ich gerne mit dir teilen würde. Aber wie sollst du auch? Du musstest dich nie mit diesen niederen Dingen beschäftigen. Wenn ich dich reden höre glaube ich, du bist gegen meine Art des Versagens immun. Und außerdem existiert in deiner Welt niemand außer dir. Du hast keine freien Ressourcen, um zu fragen, wie es mir geht.

 

Du möchtest nur meine Meinung hören, ob du nach rechts oder links fliegen solltest. Auf beiden Wegen machst du deine immens wichtige Arbeit, aber links kann jeder dich und deine Karriere bewundern, während du rechts im Stillen ein Held bist. Man könnte meinen, die Presse schreibt Kritiken über deine Lebensentscheidungen, so wichtig wie du dir vorkommst. Ich könnte dir nochmal sagen, dass es nicht um Leben und Tod geht, sondern dass du deine Entscheidung noch umkehren kannst, sollte sie sich für dich als falsch erweisen. Aber ich habe keine Lust mich zu wiederholen. Es geht nur noch um dich und deine Zukunft. Ich erkenne die Ratlosigkeit und Angst hinter deinen Schwafeleien über Karriereoptionen und deinen Frust darüber nicht dieselben Bilder vorzeigen zu können wie deine Freundinnen. Ich möchte dich fragen, ob es dir nur um die Bilder geht oder ob du wirklich all diese Dinge willst. Ich befürchte du weißt es selbst nicht. Ich denke, du hast Angst, nicht das Leben zu führen, von dem du immer geträumt hast. Von einem Moment auf den anderen kommst du mir so schwach vor.

 

Als wüsstest du nicht, welchen Weg du gehen sollst, zu was du ja und nein sagen sollst, was du eigentlich wirklich willst. Du kannst nicht entscheiden, worauf du verzichten willst, kannst keine Prioritäten setzen, weil du nicht wirklich welche hast.

 

Nur eines wird mir klar: Ich bin keine deiner Prioritäten.

 

Du hast noch keine Frage zu mir gestellt. Du gibst mir das Gefühl, um Treffen und Gespräche mit dir zu betteln. Ich weiß nicht, wann du mich zuletzt unterstützt hast. Und ich frage mich, weshalb ich mich hierauf eingelassen habe. Ich warte darauf wütend zu werden. Aber die Wut kommt nicht. Nur die nüchterne Erkenntnis, dass wir keine Freunde mehr sind. Aber bis du das verstanden hast, wirst du mir nicht mehr wichtig sein.

 

 

 

Teil II

 

Manchmal frage ich mich, was passieren würde, würde ich dir sagen, was ich denke. Wenn ich dir erkläre, dass ich seit langer Zeit nicht mehr gerne neben dir einschlafe und aufwache, sondern an eine Andere denke, wie würdest du reagieren?

 

Die Frage habe ich mir sooft gestellt, dass ich die Antwort zu kennen glaube. Du würdest nicht wirklich um mich kämpfen. Du würdest nur nicht wollen, dass ich gehe, weil es bequem ist, so wie es ist. Es ist nicht sonderlich schön, aber es funktioniert. Und anscheinend tut es das auch für mich. Denn jeden Morgen wenn ich mich aus dem Bett quäle, ertrage ich dein Gejammer darüber, wie früh es ist und wie wenig Lust du hast, zu arbeiten. Jedes Mal, wenn du mit Absicht verschläfst, macht mich das sauer und ich weiß noch nicht mal, weshalb genau, während ich ins Bad stiefele. In der letzten Zeit ist mir so vieles von dem egal geworden was du sagst und tust, dass mich auch nicht mehr interessieren sollte, wie faul du bist. Doch das hat sich geändert, als sie in mein Leben kann. Über gewisse Dinge denke ich jetzt anders und das ist unumkehrbar.

 

Während ich meinen Kaffee trinke und versuche ein Toast zu frühstücken, höre ich dich ins Bad wanken und nach einigen Sekunden zurück ins Bett fallen. Es scheint dich nicht zu interessieren, dass ich hier sitze, mal wieder nichts essen kann und den Fernseher anstarre, in den Gedanken an meinen Vater, der seit knapp vier Monaten tot ist. Ich befürchte nicht hochzukommen und es nicht zur Arbeit zu schaffen. Vielleicht gab es irgendwann früher eine Zeit, in der ich mir gewünscht hätte, dass du mit mir darüber redest, dass ich dir erzählen kann, wie ich mich fühle. Aber mittlerweile bin ich froh, meine zu Ruhe zu haben. Ich weiß, dass du nichts Tröstendes zu sagen hast. Und dennoch bin ich hier.

 

Ich weiß nicht, was du über uns denkst. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mal genau, was ich über uns denke. Ich bin froh zur Arbeit zu müssen, weil mich das zwingt, mit den Grübeleien aufzuhören. Bis ich nach Hause komme, wird es bestimmt nach acht Uhr abends sein. Was du wohl denken würdest, wüsstest du, dass ich am liebsten auf der Arbeit übernachten würde. Du bist in der Hinsicht die perfekte Partnerin, weil es mich nicht drängt, früher heimzufahren um bei dir zu sein. Ich kann mich ganz der noch frischen Selbstständigkeit widmen, ohne das Gefühl zu haben, dich zu vernachlässigen.

 

Für eine Weile stoppen auf der Arbeit alle Gedanken. Was ich zu tun habe, besetzt meinen Kopf wie ein Virus. Dazu kommt der Stress von Zeitdruck. Nur wenn ich mal Pause mache, kriechen sie wieder zwischen meine Ohren. Ich ertappe mich dabei wie ich mich frage, wo sie ist und was sie tut. Ich wüsste gerne, ob du auch solche Gedanken an jemand anderen hast oder ob es dir vollkommen gleich ist, was aus uns geworden ist. So habe ich noch vor nicht allzu langer Zeit gedacht und ich frage mich, ob es einen Weg dorthin zurückgibt. Bisher habe ich ihn nicht gefunden und ich weiß nicht, ob ich ihn finden will, sollte es ihn geben. Es wäre der leichteste Weg. Das Risiko mit ihr einzugehen, der gefährlichste.

 

Genau deshalb habe ich noch keine Entscheidung getroffen. Ich kriege Angst, wenn ich mir den Weg mit ihr vorstelle, weil es sich anfühlt, als hätte ich alles zu verlieren. Mehr als ich jetzt gerade habe. Und vielleicht bekomme ich gerade deshalb Depressionen, wenn ich mir den Weg mit dir ein Stück die Straße runter vorstelle. Ich fühle mich dabei als würde ich verhungern und verkümmern. Ich frage mich, was ich will und denke doch, das schon zu wissen. Aber ich frage mich, wie ich diese Entscheidung jemals treffen soll und spüre wieder diese Magenschmerzen, weil ich sie vermisse und ihr das nicht sagen darf, solange ich nicht weiß, ob ich dem Taten folgen lassen kann. Es bleibt mir nur das, was ich immer tue. Ich höre auf darüber nachzudenken. Schließlich brauche ich meine Kraft und bin mir sicher, jetzt gerade auch keine Lösung zu finden.

 

Nur so ganz abschütteln lassen sich die Gedanken nie. Jeden Tag passieren Kleinigkeiten, die mich an sie erinnern. Als ich weitermache schreibst du mir, ob wir etwas zu Essen haben für heute Abend. Ich weiß es nicht und es ist mir auch egal. Ich habe nicht viel Hunger zurzeit und kann sowieso nicht einkaufen gehen. Du hast mich seit einer Ewigkeit nicht mehr gefragt, wann ich nach Hause komme und wie mein Tag läuft. Ich kann mich auch nicht erinnern, wann ich das zuletzt getan habe. Es interessiert mich einfach nicht mehr. Wenn wir uns überhaupt tagsüber hören, klären wir bloß Alltagsdinge. Ein Gespräch kann man das nicht nennen.

 

Ich antworte dir, dass ich nicht in den Kühlschrank geguckt habe. Du schreibst nichts mehr. Vielleicht bist du sauer, vielleicht genervt. Wer weiß das schon. Ich denke nicht weiter darüber nach. Der Gedanke an meinen Vater, an all das, was er nicht mehr erleben wird, das Wissen, nie wieder mit ihm reden zu können, drückt mich nieder. Ich bin froh, wenn ich es schaffe, einen weiteren Arbeitstag durchzustehen. Ich funktioniere auch heute bis zur vollkommenen Erschöpfung. Mit leerem Akku hole ich mir Fast Food auf dem Weg nach Hause. Ich freue mich nicht darauf, aber wer weiß, ob ich mich gerade überhaupt freuen kann. Und ich sehne mich nach der Couch.

 

Ich esse dort, während du daneben sitzt und der Fernseher läuft. Du erzählst etwas über die Nachbarn, irgendwelche Freunde, deine Familie. Ich reagiere so, wie du es möchtest, so wie es mich wenigsten Kraft kostet. In letzter Zeit brechen wir sehr leicht in Streit aus, viel öfter, als dass Frieden herrscht. Heute ertrage ich das nicht. Ich bin froh, als du endlich zu reden aufhörst. Wir liegen beide auf unseren Seiten der Couch, schauen fern und auf unsere Handys. Ich denke an sie. Und daran, wie ich mit ihr geschrieben habe. Ich möchte ihr auch jetzt schreiben, wissen wie es ihr geht, was sie macht. Ich möchte mit ihr über all das reden, was mich beschäftigt. Wenn ich dich gegen sie jetzt sofort austauschen könnte, ich denke, ich würde es tun.

 

Aber die Müdigkeit erlöst mich und ich schlafe ein. Ich wache noch auf der Couch wieder auf. Du hast umgeschaltet und der Ton hat mich geweckt. Ich hasse das, aber ich sage nichts und gehe ins Bett. Natürlich folgst du mir. Wäre ich nicht so müde, würde ich dir zeigen, wie sehr du, deine Nähe mich nervt. Im Bett machst du den Fernseher an. Ich weiß, wie du reagierst, würde ich dich bitten ihn auszumachen. Es würde nur wieder Streit geben. Außerdem weiß ich, heute schlafe ich sofort ein. Und das tue ich dann auch. In der Hoffnung, nicht wieder mitten in der Nacht aufzuwachen und vor lauter Gedanken an meinen Vater, sie und die Zukunft nicht mehr einschlafen zu können.

 

Von all dem, hast du keine Ahnung.

 

 

 

Teil III

 

Ich erkenne dich gar nicht wieder. Und dabei sind wir doch eine Familie. Offensichtlich ist Familie aber etwas, dem wir selbst Bedeutung geben müssen und keine Garantie für Geborgenheit. Früher war das anders. Früher standen wir uns mal nah, jetzt bist du anders. Jetzt glaube ich, dieses Wort Familie, Wir, haben keine Bedeutung mehr für dich. Außer es nutzt deiner Bequemlichkeit.

 

Du bist mir fremd in Anzug und Krawatte. Du bist mir fremd mit dieser Sonnenbrille und dieser Frisur und den Dingen, von denen du jetzt redest. Ich verstehe nur die Hälfte und ich glaube manchmal, es gefällt dir, zu demonstrieren, wie du dich verändert hast. Als würde dich das besser machen, als wären die Dinge, die dich beschäftigen sehr viel wichtiger als alles, was deine Familie beschäftigt. Es geht um irgendetwas mit Geld, Versicherungen, Aktien und Autos. Das ist dein Job, das ist dein Leben. Und anscheinend ist das alles, was dich noch interessiert. Du bist so ernst, während du von diesen Dingen redest und ich möchte dir zurufen, dass du noch keine dreißig, ja eher Mitte zwanzig bist und deine Jugend genießen solltest. Aber du möchtest dir nichts sagen lassen.

 

Auch das gehört zu deiner traurigen Veränderung. Du glaubst dadurch Stärke und Intellekt zu demonstrieren. Doch ich sehe nur unreifes und kindisches Verhalten von dir. Du erlaubst keine andere Meinung zu den Sachen, die dir jetzt wichtig erscheinen und kannst dir nicht vorstellen, dass mit etwas Reife und Erfahrung wieder anders zu sehen. Ich würde dir am liebsten sagen, dass du dadurch nicht erwachsen wirkst, sondern nur wie jemand, der gerne erwachsen spielt. Du polierst deine Fassade, aber das täuscht nicht darüber hinweg, wie lächerlich und schwach du letztendlich bist und dich auch fühlen musst.

 

Ich wünschte ich könnte dich fragen, was genau in dir vorgeht, was du denkst, was dir vielleicht sogar Sorgen macht. Nur scheinen wir soweit voneinander entfernt zu sein, dass meine Worte dich entweder nicht erreichen oder sich auf dem Weg dahin so verändern, dass sie dir in den falschen Hals geraten. Ich habe verlernt mit dir zu sprechen und ich möchte dir sagen, dass das deine Schuld ist, weil du dich so verändert hast. Ich will dich fragen, wieso du so bist, so arrogant und steif und wann sich das wieder ändert. Ich will dir sagen, dass ich dich zurückwill, so wie du warst. Denn da waren wir eine echte Familie, ohne das Gefühl, ständig von dir bewertet und verurteilt zu werden. Da hast du nicht auf uns hinabgeschaut.

 

Doch ich weiß, dass es nicht mehr so wird wie früher. Nicht nur, weil die Dinge, die dich jetzt interessieren in dein Wesen eingegraben sind, sondern weil ich Seiten an dir gesehen habe, von deren Existenz ich nichts wusste. Undankbar, kurzsichtig, abgehoben. Du hast Schwächen offenbart, auf die angesprochen du in die Luft gehen würdest. Und das ist eine Schwäche von dir, mit der ich nie gerechnet hätte.

 

Ich bin sauer auf dich, ich bin verletzt und ich will dir sagen, dass es deine Schuld ist. Aber ich tue es nicht, weil ein Teil von mir nicht sicher ist, ob das wirklich stimmt. Möglicherweise habe auch ich Schuld daran, dass wir nicht mehr miteinander auskommen. So sehr ich auch will, dass die Dinge wieder werden wie früher, so sehr frage ich mich ob das geht und ich habe Angst davor, wieder von dir enttäuscht zu werden.

 

Also sage und tue ich gar nichts.

 

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