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Vom Loslassen

 

Es heißt, wer etwas zu sehr will, verliert es am schnellsten. Und gleichzeitig sind wir darauf gepolt, Ziele und Ambitionen zu verfolgen, etwas zu erreichen. Wir haben gelernt, das geht nur, indem wir die Wege und Optionen dahin abwägen und überdenken, uns auf das Ziel fokussieren und einem strikten Plan folgen, damit wir wissen ob wir Fortschritte machen. Wir sind ergebnisorientiert. Schließlich heißt es von überall, das Ergebnis ist es, was zählt.

 

Wir benehmen uns manchmal wie Sportler, die den Punktestand und die restliche Zeit auf der Anzeigetafel beäugen, anstatt sich auf das Spiel zu konzentrieren. Was wir dann sehen, kann uns entmutigen. Sogar soweit entmutigen, dass wir aufhören, dem Prozess oder unserem Training zu vertrauen. Manchmal muss man tausend Schritte gehen, um über die Kuppe sehen zu können. Wenn uns der Anstieg zu lange erscheint, beginnen wir zu rationalisieren. Sind wir auf dem richtigen Weg? Bringt unsere tagtägliche Arbeit etwas? Wir glauben, wir müssten bereits weiter sein als wir es sind und wollen die Dinge dann manchmal erzwingen. Wir zermartern uns das Gehirn, im Glauben jeden Schritt des Prozesses genau zu durchdenken und zu kontrollieren, sei der Schlüssel zum Ziel.

 

Und dennoch spricht man gerade bei einem dauerhaft erfolgreichen Skispringer davon, dass er im Flow ist. In einer so komplexen und technischen Sportart hängt ein erfolgreicher Sprung vor allem davon ab, mit ca. neunzig Sachen auf den Schanzentisch zuzurasen und den Absprungpunkt in wenigen Hundertstelsekunden exakt zu treffen, um die maximale Kraft in den Sprung einbringen zu können. Wer es zu sehr will, wer beim Absprung zu sehr mit der Weite beschäftigt ist, die er erreichen will, ist nicht im Moment und verpasst den Zeitpunkt. Wer sich dagegen bloß auf das hauptsächliche Element seines Trainings und Sprunges konzentriert ist geistesgegenwärtig.

 

Anders gesagt, funktionieren die Dinge oft genau dann wie geschmiert, wenn wir lockerlassen und überhaupt nicht, wenn wir es mit der Brechstange versuchen.

 

Das gilt nicht nur für Sportarten, sondern für jeden Bereich unseres Lebens: Oftmals erreichen wir eher das was wir wollen, wenn wir weniger hart denken oder es jagen. Eine neue Geschäftsidee oder Inspiration für einen Song, ein Bild oder einen Text kommen selten, wenn man sie erzwingt. Es kommt in den kleinen Dingen, die sich uns offenbaren, wenn wir Schritt für Schritt gehen und uns in erster Linie auf das fokussieren, was unmittelbar vor uns liegt. Das bedeutet auch, nur das zu kontrollieren, was in unserer Macht steht und alles andere aus der Gleichung zu lassen. Es bedeutet, nicht darüber nachzudenken, wie das Ergebnis am Ende aussehen wird, ob wir das Bullseye treffen und wann, sondern beinahe stur der tagtäglichen Arbeit zu folgen. Mit voller Konzentration. Uns in Prozess und Training zu verlieren. Eins nach dem anderen tun.

 

Es fällt uns schwer das zu verinnerlichen, weil wir die Checkpoints vermissen, die uns sagen, dass wir Fortschritt machen. Und dabei hat genau diese Sichtweise etwas Oberflächliches, suggeriert sie doch, den Prozess nur durchstehen zu wollen, wenn möglichst zeitnah eine Belohnung für uns dabei rausspringt. Das Bullseye zu treffen, in welcher Art wir uns das auch immer wünschen, ist jedoch etwas, das einiges an der immer gleichen Übung erfordert. Jeder der mal Dart gespielt hat, weiß das. Dabei passieren unzählige Fehlwürfe und doch muss man jeden Wurf mit Präzision angehen, so als hätte es nicht fünfhundert Fehlwürfe vorher gegeben. Wir müssen dem Prozess vertrauen und uns mental dem widmen, was vor uns liegt, wie der Skispringer beim Absprung. Das ist es, was uns unserem Ziel näherbringt.

 

Alles andere ist verschwendete Energie. Wir müssen aufhören zu denken, dass was wir nicht selbst tun, nicht passieren wird. Das bedeutet so viel wie, dass wir die Kontrolle nicht abgeben wollen. Der Skispringer in der Luft vertraut sich dem Wind an, der Dartpfeil muss irgendwann losgelassen werden, wir arbeiten jeden Tag so gut wir können, doch ob wir befördert werden, liegt nicht an uns. Wie können uns in Bewerbungen so gut darstellen, wie wir wollen, doch ob wir eingestellt werden entscheidet jemand anderes. All diese Dinge können wir nicht beeinflussen. Aber wir können aufhören darüber nachzudenken, wie der Flug aussehen soll. Was unser Chef am liebsten von uns sehen und hören will oder wie wir uns am besten in einer Bewerbung verkaufen. All das kostet wertvolle mentale Ressourcen und Energie, die wir nutzen können für den Prozess, der uns an unser Ziel bringen soll. Wenn wir aufhören darüber nachzudenken, wie das Endergebnis aussehen soll und wie wir das am besten erreichen, sondern einfach nur der Arbeit nachgehen, die jetzt gerade vor uns liegt, haben wir die richtige Art gewählt, um auf das Bullseye zu zielen.

 

Im Endeffekt ist das Erreichen des Ziels Nebensache, da es ohnehin keine echte Ziellinie im Leben gibt. Es gibt allerdings den Prozess, der unsere ganze Aufmerksamkeit verlangt und in dem sich das Ziel bereits verbirgt.

 

 

 

(Basierend auf Texten von Ryan Holiday und James Clear.)

 

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