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Tödliches Roulette

 

Er konnte schon immer anders denken als die anderen.

 

Es kommt ihm so vor, als hätten die anderen einen Sicherheitsschalter oder eine Firewall in ihren Gedanken. Er hat das nicht. Er kann tiefer in sein Gehirn vordringen, dorthin wo sich die Gedanken verselbstständigen und Fragen in ihm wecken, die Spaß machen. Wer würde nicht gerne wissen, wie weit man gehen kann, ohne erwischt zu werden? Wen kitzelt es nicht, herauszufinden wie es ist, Menschen an der Nase herumzuführen, sie zu manipulieren und ihnen seine Überlegenheit zu demonstrieren? Wer will nicht wissen, wie es sich anfühlt jemanden umzubringen?

 

Wenn er früher als Kind darüber gesprochen hat, haben sie alle Angst vor ihm gekriegt. Seine Eltern haben gesagt, er dürfe so nicht denken und reden, aber die Gedanken sind frei. Sie kommen wie Ebbe und Flut, auch wenn er gelernt hat, sie für sich zu behalten. Manchmal sitzt er mit einer Freundin im Café, die ihm von ihrer Affäre mit ihrem Chef erzählt und er muss grinsen, bei der Vorstellung all die Bilder und Nachrichten, die sie ihm von sich und ihrem Chef schickt an dessen Frau weiterzuleiten Er würde einfach gerne wissen, was dann passiert. Jedes Mal, wenn er bei seinem Kumpel zum Grillen ist und der kleine Chihuahua ihn ankläfft, stellt er sich vor, ihn vom Balkon im fünften Stock zu werfen, oder ihm so viele Tennisbälle in die Schnauze zu stopfen, dass er sich entweder den Kiefer ausrenkt oder erstickt, mit weit aufgerissenen, panischen Augen. Oft reichen ihm die Vorstellungen. Wenn er nur daran denkt, dem Drängler hinter ihm einen Baseballschläger über den Kopf zu ziehen, kribbelt es in seinem ganzen Körper.

 

Doch dann kommt diese Stimme dazu, die ihn fragt, warum probierst du es nicht mal aus? Er hat gedacht, er würde es nicht. Er wollte nur mal sehen, wie weit er gehen kann. Es hat mit kleinen Dingen angefangen, wie am Auto seines Nachbarn die Reifen aufzuschlitzen und der Polizei dann eine detaillierte Beschreibung einer fiktiven Jugendbande zu geben. Dann hat er angefangen Drohmails an seinen Vater zu schicken und ihn mit seinem Wissen über dessen Steuerhinterziehung zu erpressen. Und irgendwann hat er die Katze seines Chefs, die immer im Büro hockt, in der Toilette ertränkt und in den Müll vor der Firma geworfen. Niemand hat ihn je verdächtigt.

 

Also warum das Ganze nicht noch weiterführen? Er hat seine Ideen auf Zettel geschrieben. Auf zweiunddreißig Zettel. Genug für eine Runde Roulette. Auf seinem Spielfeld ist jede Zahl mit einem Einsatz belegt. Er hat die Kugel schon in der Hand und den Roulette Kessel gedreht. Er hofft auf die 8 oder die 23.

 

Er lässt die Kugel rollen.

 

Rien ne va plus.

 

Nichts geht mehr.

 

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