· 

Ein Auto in der Nacht

 

Das Auto stand unbeleuchtet neben dem Blumenfeld.

 

Dort wo im Frühjahr Verkaufswagen voller Erdbeeren und Spargel parkten. Doch jetzt war weder Frühjahr noch helllichter Tag. Ganz im Gegenteil, es war ein eisiger, später Winterabend und auf der Straße, an der sie entlangspazierte, glitzerte es gefährlich. Sie hatte ihre Hände in den Jackentaschen, um sie vor der Kälte zu schützen und spürte den unbarmherzigen Wind, der über das Blumenfeld fegte an ihren Wangen.

 

Es war der perfekte Abend, um ihn zu vermissen. Sie hatte zuhause gesessen und in die Dunkelheit gestarrt, die sich seit Monaten nicht zu verändern schien. Seit Monaten geisterten dieselben Fragen in ihrem Kopf umher, dieselben Gedanken und Gefühle quälten sie. Es ging nicht vorbei, es ging nicht vorwärts. Der Frühling wollte einfach nicht kommen. Sie hatte einen Spaziergang machen müssen, um nicht den Verstand zu verlieren. Beim Spazierengehen bewegte sich wenigstens etwas. Auch wenn es nur ihre Haare im Wind waren. Sie hatte den Weg am Blumenfeld vorbeigewählt, da sich dahinter ein flaches Feld auftat, das zwar den Wind Fahrt aufnehmen ließ, doch damit auch die Aussicht auf die hell erleuchtete Skyline der Stadt zuließ.

 

Das Auto stand soweit von der Straße entfernt, wie es die Einmündung des Feldes erlaubte. Es konnten höchstens zwanzig Meter sein. Sie blieb stehen. Sie glaubte zwei Menschen hinter den Scheiben zu erkennen und hatte plötzlich Angst, die beiden zu stören. Es hatte eine Zeit in ihrem Leben gegeben, da hätte sie sich gefragt, was Leute dazu trieb, bei diesen Temperaturen auf einem abgelegenen Feld im Auto zu hocken. Jetzt hatte sie eine Idee.

 

Es der private Rückzugsort für zwei Menschen, die sonst keinen hatten. Es bot Schutz bei diesem Wind. Und Möglichkeiten, sich warm zu halten. Vorsichtig lief sie weiter. Eine dünne Eisplatte, die sich auf eine kleine Pfütze gelegt hatte, knirschte als sie darauf trat und sie zerbrach. Es deutete noch immer nichts das Frühjahr an. Die Natur war in derselben Starre, wie ihr Leben.

 

Doch auch diese Starre war zerbrechlich. Irgendwann würden bunte Blumen die Köpfe heben und Menschen in der Sonne Schlange stehen, um sie zu pflücken. Und bis dahin galt es das bisschen Wärme und Leben zu schützen, wie die beiden da vorne im Auto, mit Aussicht auf helle Lichter in der Dunkelheit.

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Siggi S. (Donnerstag, 21 Mai 2020 20:08)

    Was für ein interessanter Blog.
    Diese Geschichte passt nahezu auf jeden der gerade auf der Suche nach einer solchen Zweisamkeit ist. Gerade in dieser Zeit ist es sehr schmerzlich so alleine zu sein.
    Danke Frau Wilmes.