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Nächte

Es waren Nächte wie diese, die dich zu dem gemacht haben, was du heute bist.

Nächte, von denen wir glauben, dass sie ewig dauern, weil kein Morgengrauen durchs Fenster bricht. Nächte, die so still und einsam sind, dass sich unsere Ängste hervortrauen. Nächte voller Schmerzen, die uns glauben machen, dass wir dem Schicksal hilflos ausgeliefert sind.

Wie viele von diesen Nächten musstest du durchstehen? Du hast sie nie einzeln aufgezählt, aber jedes Mal, wenn du verlassen wurdest, wenn dein Vertrauen in einen Menschen, der dir Liebe versprochen und dann das Herz gebrochen hat, erschüttert wurde, wirst du dich in einer dieser Nächte wiedergefunden haben. Die Krankheit deines Vaters und sein Tod. Die Krankheit deiner Mutter und ihr Tod. Es sind qualvolle Nächte, die uns glauben machen, in jeder dunklen Ecke lauert ein weiteres Monster. Die eigene Sterblichkeit, der nächste Verlust.

Wir glauben in der Dunkelheit in unser besiegeltes Schicksal zu starren, in eine schwarze Zukunft, in eine nicht vorhandene Zukunft. Und dann ist da diese Angst. Angst, die den Atem nimmt. Wir fühlen uns ganz auf uns allein gestellt und den Entscheidungen, die wir fällen müssen, nicht gewachsen. Vielleicht können sich diese Gefühle und Gedanken manifestieren, in jeder Zelle unseres Körpers, in jedem Atemzug, in unserem Herzen. Vielleicht wurden deine Tage deshalb so laut und so voll. Vielleicht wurde jeder Funken Glauben an dich selbst in diesen Nächten abgetragen. Vielleicht hast du deshalb dieses Bedürfnis nach Sicherheit, nach einem Auffangnetz.

Ich habe neulich den Film gesehen, den du mir damals zu meinem Geburtstag geschenkt hattest. Ich erinnere mich nicht mehr genau, aber du sagtest, dass dich dieser Film beeindruckt hat. Es geht um einen Jungen, der glaubt, das Glücksprinzip entdeckt zu haben und versucht, die Welt zu ändern. Letztlich ändert er gleich mehrere Welten. Die seiner Mutter und Großmutter zum Beispiel. Es ist ein Film, den auch ich nie vergessen werde. Aber es fiel mir schwer, dich in diesem Film über Hoffnung zu sehen. Schließlich waren Hoffnung und Optimismus Worte, die bei dir Zweifel ausgelöst haben. Zumindest wenn es um dich und deine eigene Zukunft ging.

Deine Lieblingsmusikerin hat vor einigen Wochen ein neues Album rausgebracht. Und ich habe zum ersten Mal verstanden, was dich so an ihr fasziniert. Sie ist sie selbst in ihren Songs. Sie ist stark, selbstbewusst und jede Zeile in ihren Liedern sagt, dass sie sich nicht unterkriegen lässt. Ist sie so, wie du gerne wärst? Bin ich wie sie?

Weißt du denn nicht, dass auch ich diese dunklen Nächte habe? Auch ich saß in den letzten Monaten allein in der Dunkelheit und war überzeugt davon, dass kein Morgen mehr anbricht. Angst und Ungewissheit ist uns allen gemein. Aber es gab einen Gedanken, der mich immer getröstet hat. Und das war der Gedanke an dich. Du würdest das wegwischen. Oder du würdest sagen, dass ich eben stärker bin als du. Vielleicht würdest du sagen, dass ich noch nicht genug von diesen Nächten hatte, um die Hoffnung zu verlieren. Wer weiß das schon?

Doch ich denke, dass dunkle Nächte immer wieder über uns hereinbrechen werden. Nur ist das Leben zu kurz, um sie Schatten auf unsere Tage werfen zu lassen - um sie unsere Tage bestimmen zu lassen. Du hast Angst vor einer weiteren Enttäuschung, vor deiner eigenen Verletzlichkeit. Du hast Angst davor, wieder einsam in der Nacht zu sitzen und deinen Ängsten zuhören zu müssen. Aber in diesem Leben gibt es kein Glück ohne Verletzlichkeit. In diesem Leben leuchtet nichts heller in der Nacht als ein Mensch, der mit dir wachbleibt, aus mehr als Pflichtgefühl.

Ich würde mit dir wachbleiben und auf das Morgengrauen warten. Es gibt keinen schöneren Anblick als ein rötlicher Horizont, der die Monster zurück in den Schrank drängt. Panik ist vergänglich.

 

Vergiss das nicht.

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