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Mit allen Sinnen

Liebste,

es ist spät und ich habe Wein getrunken. Ich sollte in dieses Hotelbett kriechen und auf etwas Schlaf hoffen. Morgen liegt ein anstrengender Tag vor mir. Ich werde einen Vortrag halten. Stell dir vor, nach all den Jahren, habe ich mich immer noch nicht daran gewöhnt. Nicht an die Vorträge, nicht an die Hotels, nicht an die Kreise, in denen ich mich bewege.

So nennst du doch die Akademikerdichte, die mich umgibt, oder? Und vielleicht nennst du das, was ich tue Karriere machen. Vielleicht bewunderst du das sogar, während du gleichzeitig denkst, dass du in diesem, meinem Leben, fehl am Platz wärst. Du hast immer schon geglaubt, dass du nicht gut genug für mich wärst. Dabei bist du der einzige Mensch, der mich als die Frau kennt, die ich wirklich bin. Schließlich kennst du mich als Ganzes, auch die Teile, die ich unter dem Kostüm verstecke, mit dem ich morgens das Haus verlasse.

Manchmal bin ich mir selbst fremd, wenn ich Erwartungen erfülle und dem Druck standhalte, ohne dass mich etwas davon beleben oder gar erfüllen würde. Ein Teil von mir lebt immer in einer anderen, einer bunteren Welt. In mir leben Geschichten, die ich erwecken möchte, Geschichten, die ich für dich schreiben möchte. Aber ich habe zu wenig Zeit und es ist so oft zu laut um mich herum, um mir zuzuhören, um all das aufzuschreiben, was in mir ist.

Du hast diese Seite von mir gesehen und du hast sie besser beschützt, als ich das jemals könnte. Du hast sie ernstgenommen, ernster als ich mich selbst je genommen habe. Aber du hast es verstanden. Es ist meine Art mich auszudrücken. Du hast dich am liebsten über Musik ausgedrückt. Ich höre die Lieder immer wieder, die du für uns abgespielt hast. Es fühlt sich an, als würdest du diese Worte in mein Ohr flüstern. Deine Blicke sind gefährlich‘ Oh ehrlich ich begehr dich‘ Deine Blicke haben immer verraten, wie sehr du mich begehrst.

Ich mochte die Abende am liebsten, an denen du Wein getrunken hattest und deine Hände bereits auf den nächtlichen Landstraßen nicht von mir lassen konntest. Deine leerstehende Wohnung war unser Versteck und an diesen Abenden schafften wir es kaum ins Wohnzimmer. Es mag verrückt klingen, aber diese Abende und Nächte waren pure Romantik für mich. Nicht die, die man kaufen kann, nicht die, von der man seinen Freunden erzählen kann. Romantik, die man nur kennt, wenn man sie erlebt hat. Wenn all die Sehnsucht und all die Angst, es könnte die letzte, gemeinsame Nacht sein, verschwinden, weil unsere Haut sich endlich berührt und der Moment so kostbar ist, dass da kein Platz ist für andere Gedanken.

Der Wein hat dich immer befreit. Er hat die Gefängniszelle aufgeschlossen, in der du dein Begehren für mich weggeschlossen hattest. Noch heute spüre ich deine Lippen auf meinen, deinen Atem an meinen empfindlichsten Stellen. Ich wünschte, ich könnte jetzt auch in deinen Armen liegen, die mich so zärtlich gehalten haben. Wir haben uns lückenlos berührt, unser Schweiß hat sich vermischt und doch warst du mir nie nah genug. Ich wünschte, wir könnten noch einmal so miteinander sprechen, wie damals, als wir uns geliebt hatten. In der Wohnung oder in deinem Auto auf abgelegenen Parkplätzen. Sex ist ein zu profanes Wort, um zu beschreiben, was wir taten. Aber danach warst du immer bereit dich zu öffnen, dich zu offenbaren. Als hättest du durch meine Berührungen eine Rüstung abgelegt.

Überhaupt hat deine Weiblichkeit so viele Facetten und ich habe Sehnsucht nach jeder einzelnen. Du kannst so stark sein, so pflichtbewusst und fleißig. Und gleichzeitig bist du eine so fürsorgliche Frau, viel fürsorglicher und liebevoller als ich. Du hast in meinen Armen Schutz gesucht, während deine mich so hielten, als hättest du Angst mich zu erdrücken. Ich möchte noch einmal deinen weichen Körper hinabgleiten, mit all meinen Sinnen, Fingern, Lippen und Haaren.

Du hast mir eine Welt gezeigt, von deren Existenz ich ohne dich nichts gewusst hätte. Was sind das nur für Tölpel, die Weiblichkeit zwischen zwei engen Linien vorgeben. Sie haben Unkenntnis von einem ganzen Universum. Du bist dieses Universum für mich, dieser nährstoffreiche Garten. Hier in diesen Kreisen werde ich gefüttert, aber nicht genährt. Und der wichtigste Teil von mir verkümmert.

Heute Abend stelle ich mir mal wieder vor, wie du reagieren würdest, wenn ich plötzlich vor dir stünde. Würdest du dich freuen? Oder würdest du wieder fliehen?

Ich weiß, du hast dich immer noch nicht von ihr getrennt. Ich nehme an, dein Universum ist überschaubar mit ihr. Bekannt und sicher. Mit mir würde sich deine Welt vergrößern. Und davor hattest du damals Angst. Mittlerweile sind einige Jahre vergangen und ich frage mich, ob sich etwas an deinen Vorstellungen von der Zukunft verändert hat. Du könntest mir endlich die Küste zeigen. Wir könnten endlich gemeinsam verreisen. Wir könnten zurück in diese Wohnung und sie dieses Mal gemeinsam einrichten. Wir könnten alles haben. Ich stelle mir ein Leben mit dir noch immer vor, wie den perfekt extrahierten Espresso. Ein Leben mit dir ist Musik, ein Wein zum Sonnenuntergang, die Stille eines Buchladens an einem heißen Tag. Ein Leben mit dir, ist mein Lieblingsfilm, während es draußen regnet. Es schmeckt wie eine reife Frucht.

Vielleicht könnten wir mit dem Espresso anfangen?

Für immer

 

Die Deine

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