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Am Bankett des Lebens

 

Hätte ich die Wahl gehabt, hätte ich mich weiter vorne platziert.

 

Der Tisch ist allerdings so unendlich lang, dass ich gar nicht erkennen kann, wo sie mit dem Servieren anfangen. Ich sehe nur ein Meer aus Abendgarderoben der anderen Gäste und irgendwo da vorne, wo ich es gerade noch erkennen kann, werden üppig gedeckte Platten herumgereicht. Darauf ist alles, was ich mir je zu träumen erlaubt habe. Ich werde nie wieder hungrig sein oder nach etwas dürsten, wenn ich mich endlich bedienen kann, wenn ich endlich bekomme, was mir zusteht. Aber diese Warterei macht mich wahnsinnig!

 

Viele starren die Platte an und überlegen hin und her wo sie zugreifen wollen. Sie nehmen sich eines und legen es dann wieder zurück, weil sie es gegen etwas anderes eintauschen wollen. Wieder andere packen zu als gäbe es nur diese eine Platte und laden sich ihren Teller so voll, dass sie wohl daran ersticken werden. Aber sie scheinen den Hals nicht voll genug kriegen zu können, denn sie wollen nicht mit ihren Sitznachbarn teilen.

 

„Hoffentlich bleibt für uns noch etwas übrig“, wispert eine Frau neben mir ängstlich. Sie sieht aus, als wäre sie mit allem zufrieden und sollte es ein trockenes Brot sein. Hauptsache ihr Teller bleibt nicht leer und sie hat etwas vorzuzeigen. Ich erkenne Gäste, die sich bereits gut bedient haben und doch sehnsüchtig auf den Teller ihres Nachbarn schauen. Sie bereuen ihre Wahl offensichtlich und wollen haben was er hat. Einige werden zornig und schmeißen ihren Teller an die Wand. Sie schreien, es wäre unfair, weil sie nicht dieselbe Auswahl hatten wie einige Gäste weiter oben die Tafel hinauf. Dass sie eine gute Wahl getroffen und vor allem viel mehr haben, als die vor ihnen, erkennen sie nicht.

 

Ich bewundere die, die sich zurücklehnen und blind zugreifen. Sie scheinen nicht alle zufrieden mit ihrer Wahl zu sein, doch sie machen kein Aufhebens darum. Allein den Arm zu heben scheint ihnen zu viel Arbeit zu sein. Die Platte kommt mir immer näher und so langsam werde ich nervös. Gierige Hände greifen danach, sodass ich die Gaben darauf kaum erkennen kann. Ein paar Gäste verdecken ihre Teller und wollen niemandem Einblick auf ihre Auswahl gewähren. Andere halten ihre Teller hoch und protzen mit Dingen, die mich eher anwidern als beeindrucken.

 

Und dann ist es soweit.

 

Die erste Servierplatte erreicht mich. Werde ich etwas aus dem Verhalten der Anderen gelernt haben, die ich geduldig beobachten konnte? Oder werde ich mich genauso egoistisch und gierig auf das erstbeste stürzen, was mir das Leben anbietet? Wird es mir auch nur darum gehen, etwas auf dem Teller zu haben? Oder werde ich diese Platte an mir vorbeigehen lassen, um auf die nächste zu warten, sollte auf dieser nichts für mich sein?

 

Ich hoffe es, denn ich möchte mehr Mensch als Ego sein.

 

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