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Polly und Tarek

 

Sie nahm einen Schluck von ihrem Rotwein und legte die Füße auf die schmale, hölzerne Bank im Wohnwagen. Der letzte Text war abgeschickt, Pollys Handy würde jetzt nutzlos auf dem Tisch vor ihr liegen bleiben. Sie würde höchstens noch auf die Bestätigung der Redaktion warten. Ansonsten stand jetzt Vergnügen auf dem Plan. Und das Vergnügen machte doppelt Spaß, da Tarek keine Ahnung hatte, dass sie ihn mal wieder aufs Kreuz gelegt hatte. Keine zwei Meter von ihr entfernt schnitt er gerade die Zutaten für die vegetarische Sauce, die sie zu den Nudeln essen wollten. Sie sah die Muskeln in seinem Unterarm während er die Zucchini schnitt.

 

„Vielleicht ist es doch besser, wir machen den Spaziergang für die letzten Fotos und den letzten Artikel morgen. Das Wetter soll gut werden. Dann ist an den Hotspots bestimmt mehr los.“

 

„Ok“, brummte er mit einem kurzen Blick aus dem Fenster, wo die Sonne bereits unterging. Das plötzliche Vibrieren ihres Handys war mit dem Hacken des Messers das einzige Geräusch im Wagen. Polly glaubte, es wäre ihre Freundin aus der Redaktion, die ihr per Mail den Eingang ihres Artikels bestätigte. Doch es war eine SMS von Tamara, in der stand:

 

 

 

Er weiß es! Tarek weiß, dass

 

du seine Notizen für den Artikel

 

geklaut hast! Er hat vorhin einen

 

anderen Artikel eingereicht!

 

 

 

Im ersten Moment wusste Polly nicht was los war. Dann sickerten die Worte in ihr Bewusstsein und lähmten sie. Benommen nahm sie wahr, wie Tarek sich zu ihr umdrehte und sagte: „Schlechte Nachrichten? Du guckst so komisch.“

 

Er hielt noch immer das Messer in seiner Hand und in seinem Gesicht klebte ein seltsames, wissendes Grinsen. Polly räusperte sich, ihre Finger schlossen sich um ihr Handy. „Nein, alles bestens. Ich werde mal kurz draußen telefonieren. Sie stand auf und eilte zur Tür, doch zu ihrem Entsetzen stellte sie fest, das abgeschlossen war.

 

„Hast du …“

 

„Ja, man weiß nie, wer sich nachts auf Campingplätzen rumtreibt.“

 

„Ich muss kurz telefonieren.“

 

„Das kannst du doch auch hier machen. Du hast doch keine Geheimnisse vor mir. Oder Kollegin?“

 

Der Platz im Wohnwagen schien zu schrumpfen. Das Messer noch immer in seiner Hand, stand er keinen Meter von ihr entfernt. Sie wich zurück und stieß gegen das Doppelbett, dass sie sich die letzten Tage zu ihrer Recherche geteilt hatten.

 

„Kannst du das Messer vielleicht mal weglegen?“

 

„Ich würde gerne, aber ich kann nicht. Du kennst dich damit aus, nicht anders zu können, oder?“ Seine Stimme klang düster und gleichzeitig so, als hätte er Spaß an dieser seltsamen Unterhaltung, die ihren Puls in die Höhe trieb. „So wie du nicht anders konntest, als du meine Notizen zu meinem Artikel gefunden hast, gestern auf dem Tisch.“

 

Sein Kopf zuckte zurück zur Essnische. Polly wollte lügen, sie wollte ihn fragen, wie er auf so etwas kam, doch Tareks Gestalt mit dem Messer in der Hand, gab ihr das Gefühl keine Ausweichmöglichkeit zu haben.

 

„Du hast gesehen, wie …“

 

„Ich hab dir eine Falle gestellt und du bist reingelatscht.“ Er riss ihr das Handy aus der Hand und warf es in die Spüle.

 

„Was soll das?“ Sie hörte den schrillen, ängstlichen Ton in ihrer Stimme und wollte sich zwingen, ruhig zu bleiben. Doch ihr Körper hatte andere Pläne. Es piepte in ihren Ohren und ihr Mund war trocken.

 

„Witzig, dass du das jetzt sagst. Dasselbe habe ich mich gefragt, als du mir angeboten hast, hier mitzuarbeiten. Bei einem Magazin von angehenden Journalisten. Leuten, die ihr Geld damit verdienen.“

 

„Das sollte ein Friedens- und Jobangebot sein. Ich war früher nicht immer nett zu dir …“

 

„Du meinst, du hast mich verarscht, ausgenutzt und im Stich gelassen.“

 

„Ich habe mich entschuldigt und ich wollte dir einen Job verschaffen, mit der Mitarbeit an dieser Ausgabe.“ Ihre Worte klangen gut und doch dröhnte das Blut in ihren Ohren. „Jetzt leg endlich das Messer weg!“ Sie wollte sich unbeeindruckt an ihm vorbeidrängen, als er das Messer hob und sie mit einem Schrei zurückwich.

 

„Die Lügen kommen dir wie von selbst über die Lippen. Und ich dachte, in den letzten Jahren hätte sich dein Charakter verändert. Du wolltest mich nur dabei haben, weil du keinen anständigen Artikel zustande bringst und Angst hast, deinen Abschluss nicht zu schaffen! Oder warum sonst hast du aus meinen Notizen deinen Artikel gebastelt?“

 

Polly schüttelte den Kopf um ihr Zittern zu verbergen. Sie wusste nicht, ob es sie vor Angst oder Wut schüttelte. „Du bist so ein Idiot!“

 

„Nein ich war ein Idiot! Früher, als ich dir wieder und wieder vertraut habe.“

 

„Ich habe dir hiermit immerhin die Chance gegeben, beim Schreiben was dazu zu lernen. Und was anderes zu schreiben als Geschichten für diese Frau von der du hoffst, sie rafft, was du ihr damit über deine Gefühle für sie sagen willst.“

 

Tarek lachte ein unechtes Lachen. „Du willst meine Ehrlichkeit als Schwäche darstellen? In der Ausgabe des Magazins geht es um das Thema Charakter. Dann lass uns doch mal schauen, ob du einen ordentlichen Artikel über deinen Charakter hinbekommst. Das wäre perfekt für den letzten Artikel im Magazin.“

 

„Was?“

 

„Setz dich dahin.“ Er packte sie und schleuderte sie auf die Bank. „Mal schauen ob du einmal im Leben etwas Wahres und Gutes über dich selbst schreiben kannst!“ Er warf ihr ihren Laptop zu, den sie gerade so fangen konnte.

 

„Na los. Eine Seite über dich und deinen Charakter. Ehrlich und wahr. Wenn nicht …“ Er rammte das Messer mit voller Gewalt in das Holz des Tisches vor ihr. Die Spitze erzitterte und spiegelte Pollys angsterfüllte Augen wider. Es war keine weitere Erklärung nötig.

 

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