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In too deep

Der Regen prasselte auf das Autodach. Es war ein strömender, heftiger Regen, der all den Blütenstaub von den Straßen wusch und es dennoch nicht schaffte, ihre Gedanken zu ertränken. In was war sie hier nur hineingeraten?

Die Grenzen waren verschwommen, wie die Sicht durch ihre Windschutzscheibe. Richtig und Falsch waren bedeutungslose Begriffe und zu Grautönen verschwommen. Sie konnte ihre Handlungen nicht mehr in diese Kategorien einteilen. Für sie gab es nur noch halbe Wahrheiten und sie wusste nicht genau, wann das passiert war.

Sie hatte Dinge getan, von denen sie vor wenigen Jahren noch behauptet hatte, sie würde so etwas niemals tun. Doch irgendwann auf dem Weg durch diesen Dschungel des Lebens hatte sie ihren moralischen Kompass verloren. Es war schwer zu sagen, wie es angefangen hatte. Vielleicht mit der Rechtfertigung, dass was sie getan hatte, nicht strafbar war. Dass sie niemandem körperlich geschadet oder verletzt hatte. Damit, dass das Leben eben mehr Facetten hatte, als man es früher beim Schreiben in sein Poesiealbum gedacht hatte.

Und dann hatte es sich verdammt nochmal auch einfach richtig und gut angefühlt. Zu gut, um es nicht zu genießen. Es gab Leute, die machten Schlimmeres. Was sie getan hatte, hatten möglicherweise viele getan, aber die wenigsten würden es zugeben. Und alle anderen, die keine Ahnung hatten, brüsteten sich damit, dass ihnen so etwas nie passieren würde und stellten es als schlechten Charakterzug dar. Dabei wussten sie nichts.

Sie waren nie in ihrer Situation gewesen. Sie wussten nicht, wie schwer es wirklich war, diese Entscheidungen zu treffen, wenn man mittendrinsteckte. Und sie wussten auch nicht, wie es sich anfühlte. Für sie war es wie ein Anschwimmen gegen die Meeresströmung, wenn sie versuchte, das zu tun was richtig zu sein schien. Aber wenn sie aufhörte zu schwimmen und sich von der Strömung treiben ließ, hörten sofort alle Schmerzen auf. Die Gedanken veränderten sich und sie konnte an einen Strand gespült werden, wo die Sonne sie trocknen würde.

Doch noch konnte sie das nicht zulassen. Es wäre eine weitere Sturzflut aus Regen, wie die an ihrer Scheibe, bei der die einzelnen Regentropfen genauso wenig auseinanderzuhalten waren, wie richtig und falsch. Und deshalb tat sie das einzige, was sie konnte, bis sie wusste, wie es weitergehen sollte.

 

Sie lebte die halbe Wahrheit.

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