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Kriminelle Entscheidungen II - Richtig oder Falsch?

Halloween

„Findest du nicht, du hast langsam genug getrunken?“

Anna hatte Ninas Zischen trotz der Lautstärke um sie herum verstanden, dennoch sagte sie: „Was? Ich trinke zu langsam?“ Sie hob das Schnapsglas an die Lippen. „Kein Problem.“

„Lass uns mal an die frische Luft gehen!“ Nina zerrte an ihrem Ärmel, als sie den Jägermeister heruntergestürzt hatte. Die Blicke der Anderen am Tisch blieben an ihnen hängen, als Nina Anna durch die Sport­halle bugsierte, die heute mit Skeletten und Kürbissen geschmückt war, für die Halloweenparty der Handballabteilung. Nina schob Anna, die eine Art Strampler mit Skelett darauf trug nach draußen, wo sie ihre Vampirzähne herausnahm und ihren dünnen Umhang enger um ihren Körper schlang. Es half nichts. Die kalte, regnerische Luft blieb ungemütlich und traf ihren angetrunkenen Kopf unvorbereitet.

„Kannst du mir mal erklären, was mit dir los ist?“, raunte sie, damit die Gruppe lachender Raucher in der Nähe nichts mitbekam.

„Nichts. Ich genieße nur den Abend.“

„Genießen? Du säufst, als gäbe es kein Morgen und …“

„Na und? Die letzten Wochen hatte ich keine Zeit für gar nichts, außer arbeiten zu gehen und den Vorbereitungen für die Meisterschaft. Wir haben verloren, es ist vorbei. Da werde ich doch wohl einmal entspannen dürfen.“

„Du bist aber nicht entspannt! Ich weiß, dass du enttäuscht bist, dass das Team verloren hat, aber …“

„Du glaubst ich bin enttäuscht?“

„Ich hoffe, dass es das ist! Sonst verstehe ich nicht, weshalb du den ganzen Abend meckerst und allen die Stimmung versaust.“

„Oh Verzeihung! Soll ich gehen?“

„Nein, du sollst …“

„Ladiiiies!“ Es war Mark, der mit ausgebreiteten Armen auf sie zu torkelte. Die Schminke in seinem Clown ähnlich bemalten Gesicht war verlaufen. „Habt ihr eine Kippe für mich?“

„Dein Vater würde mich umbringen“, erwiderte Nina und zwang sich zu lächeln. „Noch hat er den Traum von einer professionellen Karriere für dich nicht aufgegeben. Obwohl ihr die Meisterschaft verloren habt.“

„Wie gut, dass ich so eine kompetente Trainerin habe.“ Mark legte lachend seinen Arm um Anna, doch sie wand sich aus seinem Griff und stapfte wortlos in die Halle.

„Was ist denn mit der?“ Nina zuckte mit den Schultern. Sie hatte seit Tagen schlechte Laune, aber das war kein Thema, das sie mit ihrem Neffen besprechen wollte. Stattdessen fragte sie, ob er sich mittlerweile wieder mit Benni ausgesprochen hatte, seitdem das Verfahren wegen Vergewaltigung aus Mangel an Beweisen eingestellt worden war. Mark schüttelte den Kopf, während Nina sich eine Zigarette anzündete.

„Der zickt noch rum. Aber das wird schon wieder. Hauptsache die verlogenen Volleyballer sind nicht mehr am selben Tag wie wir in der Halle.“

Nina nickte, schwieg aber. Wie so oft in den letzten Monaten versuchte sie in Marks Gesicht etwas zu erkennen, das die Zweifel in ihrem Kopf ausräumen würde.

 

Später am Abend

Anna traf die Entscheidung nicht bewusst. Der Alkohol, den sie den ganzen Abend in sich hineingeschüttet hatte, ließ sie nicht mehr klar denken. Und die Erinnerung an Julia, die sie vor einigen Tagen mit einer hübschen Blondine im Supermarkt gesehen hatte, ehe sie ohne ein Wort zu sagen auf den Parkplatz geflüchtet war, gab ihr den Rest.

„Trink lieber die ganze Flasche Wasser, wenn du morgen aus dem Bett kommen willst.“ Nina machte ihr Glas wieder voll. Anna wollte nichts mehr trinken, sie wollte ihren Kopf auf das Holz des Esstischs in der Küche legen und zum Dröhnen der Stille in ihren Ohren einschlafen. Und vergessen.

„Und wenn ich nicht aus dem Bett kommen will?“

„Was ist denn los mit dir? Du musst morgen Abend Marks Team coachen beim Spiel gegen …“

„Ja euren tollen Vergewaltiger!“ Die Worte sprudelten einfach heraus. Nina starrte sie an, drückte ihr das Glas in die Hand.

„Lass das doch. Das Thema ist ausge­standen! Benni war es, wenn überhaupt.“

„Nein sie beide waren es und ich habe geholfen Beweise wegzuwerfen, weil er … Ich geh ins Bett.“ „Was redest du denn da? Was für Beweise?“

„Beweise dafür, dass er … Lass mich in Ruhe, ich will einfach nur ins Bett.“ Sie erhob sich und stolperte in Richtung Schlafzimmer.

„Ja, schlaf deinen Rausch aus. Du weißt ja nicht mehr, was du da redest.“

„Es war klar, dass du auf seiner Seite bist!“, rief Anna, ehe sie den Raum verließ und die Tür zuschlug.

Nina setzte sich und zog Annas Glas zu sich heran. Ihr Kopf begann bereits zu pochen.

 

Anfang November

Sie hatte einen langen Tag im Büro. Am liebsten hätte Nina sich mit einem Glas Wein zu ihren Eltern oder ihrem Bruder gesetzt und sich über ihren Chef beschwert, der ihr trotz der Mehrarbeit der letzten Wochen eine Gehaltserhöhung verweigert hatte. Doch in letzter Zeit drehten sich die Gespräche mit ihrem Bruder oder ihren Eltern immer wieder um das Mäd­chen und ihre Lügen. Bis zur Halloweenparty am Wochenende hätte sie sich das Gerede angehört und hin und wieder eingeworfen, dass es ja nun vorbei war, niemand von ihnen in der Nacht anwesend gewesen war und das Mädchen letztlich nicht Mark direkt beschuldigt hatte. Diese Einwände waren nie auf viel Gegenliebe bei ihrer Familie gestoßen, aber letztlich hatte ihre Mutter immer vorgeschlagen das Thema zu wechseln.

Nach Annas Worten hatte Nina jedoch keine Lust, mit ihrer Familie über das Thema zu sprechen. Es war Herbst, der Sommer war vorbei. Zudem hatte Anna nach dem Partyabend nicht mehr darüber reden wollen. Sie hätte es vergessen können. Doch es wollte ihr nicht gelingen.

Auf ihrer Joggingrunde durch den Wald verpuffte aber immerhin ihr Ärger. Nach einigen Stretchingübungen am Ende ihrer Runde trat sie verschwitzt aus dem Wald, über dem ein wolkenbedeckter Himmel thronte. Es nieselte und eigentlich war Nina reif für das Sofa und etwas zu trinken. Sie lief zu ihrem Auto, das am Waldrand geparkt war und gerade als sie einsteigen wollte, liefen zwei Mädchen an ihr vorbei. Ninas Blick blieb an einem der Mädchen hängen. Dem Mädchen, das seit Sommer jeder in der Stadt kannte. Lilly trug ein weites Sweatshirt und dehnte ihre Oberschenkel, während sie zu der anderen sagte: „Nein, ich will nicht zu der Party. Du weißt, wie die mich nennen. Und der Arsch kommt bestimmt auch!“

„Ich sage jeder die Meinung, die dich Hure nennt und wenn Mark da auftaucht, haut mein Freund ihm auf die Fresse!“ Als die Blicke der beiden zu ihr herüberwanderten, öffnete Nina hastig die Tür und ließ den Motor an.

 

„Wieso fängst du denn jetzt damit an?“, fragte Steffen, als Nina ihm noch mit nassen Haaren vom Duschen die Milchpackung aus dem Kühlschrank reichte.

„Ich musste heute wieder dran denken. Warum hat Benni Mark die Hose gegeben, wenn doch alles einvernehmlich …“

Das Seufzen ihres Bruders unterbrach sie. „Komm schon, all das haben wir in den letzten Monaten ausdiskutiert Vielleicht hat er geahnt, dass das Mädchen aus der Geschichte Aufmerksamkeit erhaschen will. Die Polizei ermittelt nicht mehr und Mark hat seine Pflicht getan, als er die Hose rausgegeben hat. Du hast ihm doch geholfen. Du hast auch geahnt, dass das Mädel lügen wird!“ „Nein, ich habe …“

Steffen hob beide Hände. „Bitte, lass uns das Thema wechseln. Oder besser gesagt, ich muss rüber, mein Schatz will backen. Danke für die Milch.“ Er wandte sich zum Gehen, stoppte an der Tür allerdings nochmal. „Wo ist Anna eigentlich?“

„Ich nehme an noch arbeiten.“

„Hm.“

„Was hm?“

„Naja … Mark sagt, sie versteht sich mit der Volleyballtrainerin von dem Mädchen gut. Lass dir von der über Anna einfach nichts erzählen.“ Damit verschwand er. Und ließ seine Schwester mit noch stärkeren Magenschmerzen zurück.

 

Es dauerte eine gute Stunde, bis die Haustür aufging und Anna mit verkniffenen Gesicht nach der Arbeit hereinkam. Für einen Augenblick schien sie zu zucken, überrascht davon, dass Nina mit einem Glas Wein am Tisch saß und ihr Handy weglegte, anstatt vor dem Fernseher auf dem Sofa zu liegen. „Hallo. Schenkst du mir auch ein Glas ein?“ Sie wusch sich die Hände an der Spüle, stellte ein Glas neben Nina und verschwand im Schlafzimmer, wo sie umgezogen wieder herauskam.

„Wie war dein Tag?“

Anna winkte ab und sank schwer auf den Stuhl. „Schlimmster Tag im ganzen Jahr“, brummte sie und nahm einen tiefen Schluck. Sie schien kein Interesse daran zu haben, Nina nach ihrem Tag zu fragen, so sagte Nina: „Ja, bei mir auch.“ Sie legte eine Pause ein, keine Reaktion von Anna. „Ich war vorhin joggen und habe das Mädchen gesehen.“

„Welches Mädchen?“

„Du weißt schon! Diese Lilly.“

„Ach so Und?“ Sie sah Nina nicht an, guckte in ihren Wein. „Wir haben noch gar nicht über die Halloweenparty gesprochen. Das, was du gesagt hast.“ Außer einem tiefen Seufzen gab Anna keinen Laut von sich. „Über Mark und …“

„Ich weiß, was ich gesagt habe. Ich gehe ins Bett.“

„Was? Warte!“, rief Nina, als Annas Stuhl über den Boden schabte. „Was hast du damit gemeint?“ „Du glaubst mir doch sowieso nicht.“

„Was?“

„Bitte, nicht heute. Ich bin kaputt.“ Sie leerte ihr Glas und ging. Und ließ Nina mit mehr als nur einer offenen Frage zurück.

 

Sie sagte sich, dass sie das Richtige getan hatte. Sie war nicht bereit gewesen, sich mit dem Kuss und seiner Bedeutung zu befassen. Sie hatte nicht heraus­finden wollen, was zwischen Julia und ihr war. Und genauso wenig hatte sie sich mit ihrer Beziehung mit Nina auseinandersetzen wollen. Diese Dinge brauchten Zeit, diese Art von Ent­scheidungen mussten wohlüberlegt sein und vor allem, musste sie sich beim Entscheiden sicher sein. Und das war Anna im Sommer nicht gewesen. Schon gar nicht bei Marks Erpressung. Sie hatte nicht ertragen können, dass er Nina von dem Kuss erzählte.

Aber sie konnte auch nicht den Anblick von Julia und der anderen Frau im Supermarkt vergessen. Es war dieser Anblick, der sie am Dienstag bei Wind und Nieselregen in die Halle trieb.

Die Volleyballer hatten die Halle für sich. Julias Team. Anna schulterte den Ballsack, den sie in den Gerätraum tragen wollte und eilte durch den Regen. Das Trommeln der Bälle übertönte das Trommeln des Regens auf dem Hallendach, als Anna das Spielfeld betrat. Sie sah sie sofort, ihre Augen trafen sich, während Julia in der Mitte des Feldes Schmetterübungen überwachte.

Um das Training nicht zu stören, lief sie direkt in der Geräteraum und wirbelte solange mit dem Sack herum, bis sie hörte, dass das Team eine Pause machte. Julia ging zu ihrer Wasserflasche, die an der Wand neben dem Geräteraum stand.

„Hey.“

„Hallo“, brummte Julia und trank einen Schluck. „Das warst du neulich im Supermarkt, oder?“

Julia verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Wieso?“

„Nur so. Die Frau an deiner Seite war hübsch.“ Anna hörte ihr Herz pochen, ihre Beine fühlten sich zittrig an. Julia atmete durch und schüttelte den Kopf. „Ich muss weitermachen.“

„Bist du sauer?“

„Was denkst du denn? Du hast Beweise verschwinden lassen! Und du hast mich abgefertigt, wie … Nein, weißt du was? Ich verstehe schon, der Kuss hat dir nichts bedeutet.“

„Wenn du das glaubst, dann …“

„Was soll ich denn sonst glauben?“

„Verdammt, Mark hat mich erpresst! Er hat uns gesehen. Was hätte ich denn tun sollen?“, platzte es aus Anna heraus.

„Was?“

„Er hätte Nina alles gesagt.“

„Und das wolltest du nicht?“

Anna seufzte. „Ich weiß überhaupt nichts mehr.“ Julia sah sie fassungslos an.

„Eine meiner Spielerinnen wurde vergewaltigt und du …“

„Ich weiß, okay?“

„Nein, nichts ist okay. Lass mich in Ruhe.“

„Wie du meinst. Du hast ja schon Ersatz für mich.“

„Wenn du das glaubst, dann bitte“, rief Julia ihr hinterher.

 

Es dauerte bis zum Ende der Woche, bis Julia mit etwas Abstand und in Ruhe über ihre Begegnung mit Anna in der Halle nachdenken konnte.

„Ja, ich denke, ich kann sie verstehen.“ Sie starrte in ihr Bierglas, während ihre Cousine aus ihrem einen tiefen Schluck nahm. Sie saßen im Wirtshaus in der Stadtmitte, das an diesem bereits dunklen, windigen Herbstabend proppenvoll war. Sie saßen an der Theke, doch bei dem Lärm um sie herum, war es undenkbar, dass sie jemand belauschen konnte.

„Sie hatte nicht viel Zeit zum Nachdenken, als der Knirps sie erpresst hat.“ Ihre Cousine Danielle lachte plötzlich. „Aber so egal, war ihr euer Kuss bestimmt nicht. Wenn sie denkt, wir wären ein Paar und dafür in die Halle zu dir kommt.“

Julia seufzte. „Vielleicht. Aber sie kann doch nicht einfach Beweise …“ Sie kratzte sich im Nacken. „Lassen wir das. Sie wird wissen, was sie tut. Ich geh auf Toilette.“ Da gerade renoviert wurde, musste Julia nach draußen in den Wind treten, um zu einem mobilen Toilettencontainer zu gelangen. Draußen standen einige Raucher, die im Dunkeln nicht genauer zu erkennen waren. Vor den Damentoiletten hatte sich eine Schlange ge­bildet. Julia wünschte sich, sie hätte ihre Jacke mitgenommen. Der kalte Wind blies den Nikotingeruch einer Gruppe in ihrer Nähe zu ihr. Und eine ihr bekannte Stimme. „Mama, sie hat gesagt, sie hat Marks Hose und einen Knopf von der Kleidung des Mädchens gefunden und dann ist er reingeplatzt und hat ihr alles aus der Hand gerissen!“ Es war Nina. Sie stand nur wenige Meter entfernt, rauchte und schien ein wenig zu schwanken. Sie musste zu tief ins Glas geschaut haben.

Ihre Mutter erwiderte: „Du kennst Mark seit er ein Baby war! Das kann nicht sein. Mein Enkel tut so etwas nicht! Wenn überhaupt, dann wurde er von Benni in diese Sache mit reingezogen! Dass du …“ „Aber Anna lügt mich doch nicht an!“

„Ich möchte von diesem Thema nichts mehr hören!“

„Wir können doch nicht einfach … Was ist mit dem Mädchen? Lass uns nochmal mit Mark reden.“

„Nein. Es war Benni und basta!“ Ihre Mutter drehte sich um und stapfte von dannen.

„Mama!“, rief Nina etwas zu laut und eilte ihr hinterher. Wie betäubte folgte Julia der Schlange vorwärts - und fing den Blick eines jungen Mannes in der Düsternis unter einem Baum auf. Eines Mannes, der ihr bekannt vorkam.

 

„Natürlich habe ich mit meiner Mutter darüber geredet! Du kannst mir nicht sowas über meinen Neffen erzählen und erwarten, dass ich den Mund halte. Das …“ Nina brach ab, als Anna vom Tisch aufstand und mit ihrem Weinglas in der Hand begann auf- und abzulaufen.

„Wieso regst du dich denn jetzt so auf?“ Sie sah wie Anna sich durch die Haare fuhr. „Ich … Deine Mutter … Wir wissen doch beide, dass mir keiner von deiner Familie glaubt.“

„Ich glaube dir. Du hast die Beweise gefunden und kurz darauf waren sie verschwunden. Ich versuche doch nur das Richtige zu tun!“ Nina schenkte sich Wein nach. „Wenn Mark so etwas getan hat, sollte er die Konsequenzen dafür tragen. Das arme Mädchen.“

„Ja, aber ich habe mich ja vielleicht geirrt, oder? Was weiß ich!“ Anna schüttete ihr Glas in sich hinein.

„Was ist denn verdammt nochmal mit dir los? Vor ein paar Tagen, auf dieser Feier hast du noch besoffen gelallt, dass …“

„Ja genau, ich war be­soffen!“ Ein plötzlicher Knall draußen ließ beide zusammenzucken. Es war draußen vor dem Haus passiert. Sie sahen sich einen Augenblick verwundert an, dann stürzten sie zum Küchenfenster und sahen nach unten. Im Schein einer Straßenlampe war Annas Auto sichtbar - mitsamt der eingeschlagenen Scheibe auf der Fahrerseite. Sie rannten die Treppen runter und fanden einen Backstein auf ihrer Handbremse, kurz bevor Ninas Eltern und Steffen und Mark auftauchten. „Fängt das schon wieder an? Ich rufe die Polizei!“, schimpfte Steffen. Anna blickte in Richtung Feld, wo sie das tanzende Rücklicht eines Fahrrads erkannte. Mark starrte sie an, ehe er hinter seinem Vater zurück ins Haus ging.

 

„Ein Stein?“ Ihr Kollege sah sie über den Rand seiner Kaffeetasse hinweg an. „Und du glaubst, das hat was mit Mark und dieser Sache damals zu tun?“ Anna nickte. „Ninas Mutter wird Steffen sofort alles erzählt haben und er wird es seinem Sohn gesagt haben und der hat genug Freunde.“

Sie erhob sich vom Tisch in der Küche und stellte ihre leere Tasse in die Spülmaschine. „Du hast Angst, dass er von dem Kuss erzählt?“, fragte Dennis.

„Ja, was denkst du denn?“ Sie ließ ihn in der Küche stehen. Die Stunden bis zum Feierabend vergingen quälend langsam. Sie war übermüdet, da sie schlecht geschlafen hatte und seit dem Steinvorfall drehten sich ihre Gedanken unablässig. Sie hätte Nina nichts sagen sollen! Schließlich hatte sich nichts an den Tatsachen geändert. Sie hatte den Mund gehalten, damit Mark den Mund hielt. Wenn sie ihr Wort brach, dann würde alles zusammenbrechen. Aber war es nicht das, was sie wollte, seit sie Julia mit dieser Frau im Supermarkt gesehen hatte? Während sich draußen Wolken in die Sonne schoben und den Himmel verdunkelten, verdunkelten ihre Gedanken ihr die Stimmung. Bevor sie Feierabend machen konnte, wurde es dunkel und begann zu regnen. Anna war noch zu keiner Lösung gekommen, aber nachdem sie sich den ganzen Nachmittag eingeredet hatte, dass sich alles beruhigen und Mark aufhören würde Steine zu werfen, glaubte sie es ein bisschen. Sie hielt sich ihren Rucksack über den Kopf, während sie durch den Regen über den leeren Parkplatz zu ihrem Wagen rannte. Sie entriegelte den Wagen, riss ihre Tür auf und spürte plötzlich jemanden neben sich.

Sie sah auf und sah gerade noch eine Faust auf sich zu fliegen, ehe der Schmerz durch ihren Kopf zuckte und sie es vor ihren Augen funkeln sah. Anna schrie auf, ihr Rucksack fiel zu Boden, sie fand an der Tür Halt. Als sie aufsah, entdeckte sie das verschwommene Gesicht von Benni, ihrem ehemaligen Spieler im Regen über sich.

„Was …“

„Du wusstest, dass Mark das Ganze angefangen hat! Wieso hast du meine Hose nicht einfach auch verschwinden lassen? Wieso hast du mich an die Bullen geliefert?“ Sein Gesicht war zu einer Grimasse verzogen, wie sie es noch nie gesehen hatte.

„Ich muss die Schule wechseln! Irgendwelche Typen haben mir den Arm gebrochen in der Pause. Alles deinetwegen!“ Er trat ihr heftig in den Bauch. Anna wurde schwarz vor Augen. Sie japste nach Luft. Sie wollte ihm antworten, sich erklären, aber sie bekam kein Wort hervor.

„Wieso hast du das getan?“

„Hey, was soll das denn? Lass die Frau in Ruhe!“ Eine Frauenstimme hallte durch den Regen über den Parkplatz. Benni drehte sich um. „Ich hasse dich“, schleuderte er Anna noch entgegen, spuckte auf sie und rannte dann von dannen.

„Anna? Anna!“ Es war Julias Stimme, die näherkam, ihr Gesicht, das über Anna auftauchte, ehe sie sich auf die Knie fallen ließ und sich auf Augenhöhe brachte. „Hat er dich geschlagen?“ Anna brachte ein Nicken zustande, als ihre Augenhöhle schmerzhaft pochte.

„Das sieht übel aus. Es schwillt schon an. Ich bring dich besser zum Arzt.“

„Nein“, krächzte Anna. Ihre Sicht verbesserte sich.

„Was? Du...“

„Hilf mir hoch.“ Anna stand auf, indem sie sich an Anna hochzog. „Wo willst du hin?

„Nach Hause.“ Sie warf ihren Rucksack ins Auto und stieg ein, durchnässt bis auf die Knochen. „Kannst du überhaupt fahren?“

Sie nickte.

„Das war Benni, oder?“

„Ja. Was machst du eigentlich hier?“

„Ich wollte mit dir reden. Ich wollte mich entschuldigen. Ich … Soll ich die Polizei rufen? Er kann dich doch nicht …“

„Ich fahr jetzt heim“

„Und dann?“

„Dann tue ich das, was ich von Anfang an hätte tun sollen.“

„Was heißt das? Anna!“ Sie schlug die Tür zu und fuhr los. Julia blieb patschnass im Rückspiegel zurück.

 

Ninas Mutter hatte Geburtstag. Erwartet wurde, dass die gesamte Familie bei ihr in der Küche feiern würde. Ihr Bauch schmerzte, ihr ganzes Auge schien zu pochen. Doch das Adrenalin hatte noch nicht nachgelassen. Es trieb sie vorwärts, durch die Haustür und in die geräumige Küche. Sie saßen alle um den runden Tisch verteilt vor Kuchen und Sektgläsern. Benutzte Teller in der Spüle besagten wohl, dass sie bereits gegessen hatten: Ninas Eltern, Nina, Steffen, seine Frau und Mark. Sie waren alle da. Alle verstummten und starrten sie an, ihr Gesicht und wie sie in die Küche tropfte. Dann sprang Nina auf.

„Anna, was ist … Mama, hast du Eis?“

„Ich will kein Eis!“

„Was ist passiert?“

„Benni hat mir ins Gesicht geschlagen.“

Nina starrte sie an „Ich rufe die Polizei“, sagte Steffen und erhob sich. „Nein!“ Annas scharfer Ton, machte den Raum noch stummer. „Ich weiß, warum Benni das getan hat und ich kann ihn verstehen. Ich … Ich habe die Beweise verschwinden lassen, das Mark das Mädchen vergewaltigt hat.“

„Was soll denn dieser Schwachsinn jetzt?“, wollte Steffen wissen.,

„Das stimmt nicht! Das war alles ein Missverständnis“, quäkte Ninas Mutter dazwischen.

„Ich habe es fotografiert.“ Anna erhob ihre Stimme und holte das Handy mit zitternden Fingern heraus und zeigte es allen bis auf Mark, der sie mit zornesrotem Kopf an. Das Schweigen im Raum verwandelte sich in Totenstille. Nur von Marks Mutter erhob sich ein Schluchzen. Sie hielt sich die Hand vor den Mund.

„Was soll das jetzt, Anna?“, fragte Steffen. „Willst du sein Leben zerstören?“

„Ich …“

„Sie ist nur sauer!“ Mark stand auf, sein Stuhl fiel klappend um. Anna wusste, was er tun würde.

„Ich habe gesehen, wie sie mit der Volleyballtrainerin rumgemacht hat. Sie steht auf die Alte, nur deshalb sagt sie das!“

„Das ist doch nicht wahr!“, rief Nina. „Anna?“

 

Anna senkte ihren Kopf, schaffe es nicht sie anzusehen. 

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